06.03.2012

Langes Schweigen – Bordelle in Konzentrationslagern

In vielen Konzentrationslagern des dritten Reichs gab es Einrichtungen von dessen Existenz nur wenige wissen: vom Staat gegründete Bordelle, in denen weibliche Gefangene als Prostituierte arbeiten mussten. Hierbei wurden alle Männer im Umkreis des jeweiligen KZs bedient. Es gab Bordelle für SS-Männer ebenso wie für die Wehrmacht und Lagerinhaftierte.

Auf das Thema gestoßen sind wir in der polnischen Fernsehdokumentation Dziewczęta z Auschwitz („Die Mädchen aus Auschwitz“) (2010). Dort werden ehemalige weibliche Häftlinge des Konzentrationslagers interviewt, welche unter anderem auch von der „Rekrutierung“ der späteren Prostituierten berichten. Die Autorin Christa Paul widmet dem Thema ein ganzes Buch mit dem Titel Zwangsprostitution (1995). In der Einleitung schildert sie, wie sie bei einem Besuch des KZs Auschwitz das erste Mal mit der Materie in Kontakt kommt. „Ein Bordell im KZ Auschwitz? Für Häftlinge?“, so beschreibt sie ihre überraschte Reaktion. Im gleichen Jahr wird auch erstmals ein Beitrag zum Thema im deutschen Fernsehen gezeigt. Die ARD-Dokumentation Das große Schweigen befragt Zeitzeuginnen, die als Prostituierte im KZ arbeiteten, ebenso wie Insassen, die als „Kundschaft“ im Lagerbordell waren.

Die erste Institution dieser Art wurde im KZ Mauthausen im Juni 1941 errichtet, danach folgten  Mauthausen-Gusen (1942), Auschwitz-Birkenau, Auschwitz-Monowitz, Sachsenhausen (1943), Neuengamme, Flossenbürg (1944), Dachau und Mittelbau-Dora. Zweck der Bordelle war es, einen Leistungsanreiz für Häftlinge zu schaffen. Besuche im Puff waren als Belohnung für besonders produktive Zwangsarbeiter gedacht. Außerdem sollte homosexuellen Neigungen und Handlungen entgegengewirkt werden. Die Spaltung der Häftlinge wurde vorangetrieben und ihre Bereitschaft zu Solidarität vermindert, indem man nur einer Gruppe von ihnen Privilegien verschaffte. Dies geschah nicht nur durch die Vergabe von Bordell-Besuchen, sondern auch durch die Bevorzugung mancher Häftlinge bei der Härte der Arbeit oder der Haftbedingungen. Dies Erleichterungen waren allerdings ausschließlich Deutschen vorbehalten. Der Befehl zur sogenannten „Prämienverordnung“, der die oben genannten Maßnahmen beinhaltete, wurde von Himmler im Mai 1943 erteilt.

Doch woher kamen die Frauen für die Bordelle in den Männerlagern? Größtenteils wurden sie aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück in die einzelnen Häuser gebracht. Die Frage, inwiefern die Frauen freiwillig in die Bordelle gegangen sind, lässt sich nur schwer beantworten.

Im Film Dziewczęta z Auschwitz sagen Zeitzeuginnen aus, dass man alle Frauen fragte, ob sie bereit seien im Männerlager zu arbeiten, worauf sich einige von ihnen freiwillig meldeten. Allerdings wurde auch erwähnt, dass den Frauen nicht eindeutig erklärt wurde, um was für eine 'Arbeit' es sich genau handelt. Obwohl im Film ein Bild der Freiwilligkeit bei der Auswahl vermittelt wird, muss man also auch beachten, dass die Mädchen die freiwillig hervortraten vielleicht gar nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Zudem sollte man ein Augenmerk darauf haben, dass im genannten Film keine Frauen befragt werden, die tatsächlich als Prostituierte gearbeitet haben.

In Christa Pauls Werk Zwangsprostitution wird ebenfalls eine Zeitzeugin zitiert, die behauptet: „Zu dieser 'Arbeit' meldeten sich unsere Prostituierten freiwillig...“. Allerdings relativiert die Autorin im Folgenden: „Häftlingsfrauen, die sich dafür entschieden, in einem Häftlingsbordell zu arbeiten, verbanden damit die Hoffnung, den lebensbedrohlichen Bedingungen des KZ-Alltags eine Chance des Überlebens entgegenzusetzen“. Außerdem werden andere Zeitzeuginnen und Zeugen zitiert, die nicht von Freiwilligkeit bei der Auswahl der Damen sprechen. So seien diese laut Erika Baumann, ehemalige Gefangene im KZ Ravensbrück,  „nackt vorgeführt und klassifiziert“ worden und darauf „je nach Beschaffenheit und persönlichem Geschmack […] in die verschiedenen Bordelle“ gegangen.

Nanda Herbermann, ebenfalls frühere Gefangene im KZ Ravensbrück, schildert die Situation so, dass „Dirnen vom Kommandanten, dem Inspekteur und der Oberaufseherin ausgesucht [wurden]“. Laut ihr konnte man sich aber ebenfalls freiwillig melden. Insgesamt zeigt die Autorin durch das Zitieren verschiedener Zeitzeugen also ein differenziertes Bild, aus dem wir wohl schließen können, dass es keine allgemeingültige Praxis zu 'Rekrutierung' des Prostituierten gab, sondern diese sich nach Zeit und Ort der Auswahl unterschied.

In der Dokumentation Das große Schweigen kommen hauptsächlich ehemalige Gefangene zu Wort, die selbst als Prostituierte gearbeitet haben. Gerda Brendel, die ihren Körper in einem Bordell für SS-Männer zur Verfügung stellen musste, berichtet hier, sie sei noch Jungfrau gewesen als sie dort ankam und völlig ahnungslos bezüglich dessen, was auf sie zukam. Eine andere ehemalige KZ-Gefangene berichtet von französischen Häftlingsfrauen, die die Frage, ob sie ins Bordell wollen, als Angebot verstanden, in die französische Stadt Bordeaux versetzt zu werden. Dass sie keineswegs freiwillig gegangen sei, sagt eine weitere Frau. „Hätte ich mich geweigert, hätte ich entweder in die Gaskammer oder in den Steinbruch gemusst“, sagt sie. Im diesem Fernsehbeitrag wird also das Bild einer sehr eingeschränkten Freiwilligkeit vermittelt, die 'freiwillige' Meldungen mit Unwissen über die Tätigkeit oder Todesangst erklärt.

Die Arbeit im Bordell war auch keineswegs so angenehm und leicht, wie sie von anderen KZ-Häftlingen wahrgenommen wurde. „Wir wären gerne an deren Stelle gewesen“, „die hatten nichts zu tun, gar nichts“, so äußern sich zwei der damaligen Bordell-Besucher in der ARD-Dokumentation. Ihr Gesicht haben sie dabei nicht zu verbergen. Offenbar ist es für sie keine Schande, dass sie Geschlechtsverkehr mit weiblichen Mithäftlingen hatten, die zu diesem Akt gezwungen wurden, nie eine Entlohnung dafür erhalten haben und körperliche sowie geistige Schäden durch diese Zwangsprostitution erlitten.

Nach Darstellung des Films waren die Bedingungen keineswegs komfortabel. Es werden kleine Zimmer gezeigt, in den Türen Schlitze, durch die die Wärter die 'Tätigkeit' überwachten. 10-20 Männer am Tag mussten die Frauen empfangen, für jeden ca. 15 Minuten Zeit. Die Zimmer, in denen sie ihre Tätigkeit verrichteten waren auch keineswegs ihre Schlafzimmer. Zum Nächtigen gab es einen Gemeinschaftsschlafsaal für alle Frauen.

Das ungerechte Bild der außenstehenden Gefangenen ist wohl hauptsächlich durch Neid begründet. Viele erzählen, die Dirnen hätten Pelze und Make-Up getragen und wären im Vergleich zu den restlichen Häftlingen wohlgenährt gewesen. Natürlich war dies eine besondere Behandlung, allerdings sind diese Dinge wohl kaum eine ausreichende Entschädigung für Schamgefühl, psychische Belastungen, gestörte Sexualität und körperliche Schäden unter denen die ehemaligen Prostituierten der staatlichen Bordelle noch heute leiden. Kaum eine von Ihnen hat nach dem Krieg geheiratet. Gerda Brendel musste nach schlimmer sexueller Misshandlung im Bordell für SS-Männer eine Brust amputiert werden. Einen Mann hat sie nach eigener Aussage nie wieder angefasst.

Im Interview erzählt Jan Malecha, pädagogischer Mitarbeiter der Gedenkstätte Buchenwald, vom ehemaligen Bordell des Konzentrationslagers Buchenwald, weshalb dieses Thema erst so spät aufgearbeitet wurde und was dies mit dem Einfluss der DDR auf die Geschichtserzählung zu tun hat:



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Die Begegnung "O przypominaniu i zapominaniu - Vom Erinnern und Vergessen" wird ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, des Deutsch-Polnischen Jugendwerks sowie der Doris-Wuppermann-Stiftung für soziale Demokratie.