01.03.2012

Goethe, Schiller, und die Auslegung der Geschichte

Was die Realität betrifft, so ist die Geschichtsschreibung nicht immer ganz genau. Historische Fakten unterliegen immer einer Interpretation und Instrumentalisierung. Zu symbolischen Zwecken werden Tatsachen außer Acht gelassen oder sogar abgewandelt.

Zu beobachten am Beispiel der Dichter Goethe und Schiller. Für das berühmte Denkmal in der Stadt ihres gemeinsamen Schaffens, Weimar, wurden die physikalischen Tatsachen ein wenig angeglichen. So stehen sich die beiden in gusseiserner Form auf Augenhöhe vor dem Nationaltheater der selbsternannten Kulturstadt gegenüber. Und das obwohl der lebendige Goethe ein kleiner, stattlicher Mann war, während Schiller zu den Hochgewachsenen seiner Zeit gehörte. Ob diese Angleichung nun aus  Gründen des Symbolismus oder der Ästhetik geschah, gestört hätte es wohl beide nicht allzu sehr.

Das Goethe und Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar
(Photo: Adam Symonowicz)
Anders die Verdrehung von Fakten in einem anderen Fall, dem der nationalsozialistischen Instrumentalisierung der Beiden nämlich. So wurde aus dem dicken Goethe durch die zweifelhafte Auslegung seiner Persönlichkeit durch die Nationalsozialisten ein Mensch, der angeblich gut um die Vereinbarkeit von Geist und körperlicher Betätigung wisse, was den Rechten gut in ihr Bild passte, aber eben auch ein wenig an den Haaren herbeigezogen scheint. Schlimmer traf es aber Goethes Zeitgenossen Schiller, der von den Nazis zum ersten nationalsozialistischen Denker ernannt wurde und dessen Werk von diesen instrumentalisiert wurde, um sich als kulturnahe Bewegung darzustellen. 1932 erschien sogar ein Band mit dem absurden Titel "Schiller als Kampfgenosse Hitlers".

In Weimar, wo Hitler zu seiner Zeit als Machthaber regelmäßig residierte, gelang es ihm außerdem, durch die Bereitstellung von Mitteln für den Ausbau des Goethe-Hauses Anerkennung bei Weimarer Bildungsbürgern zu finden. Mit Sicherheit nicht einverstanden wären die beiden Künstler der Weimarer Klassik mit dieser Darstellung. Zu aller Menschen Leidwesen konnten sie sich gegen diesen Missbrauch ihrer Persönlichkeiten allerdings nicht mehr wehren.

Saskia Minnebusch

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Die Begegnung "O przypominaniu i zapominaniu - Vom Erinnern und Vergessen" wird ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, des Deutsch-Polnischen Jugendwerks sowie der Doris-Wuppermann-Stiftung für soziale Demokratie.